Prof. Dr. Utho Creusen über Führungsstil im digitalen Zeitalter
Im Interview mit Alexander Hornikel, Senior Partner bei Kloepfel Consulting, spricht Prof. Dr. Utho Creusen über die verschiedenen Führungsstile, die er in seiner Laufbahn erleben durfte und wie sich die Digitalisierung auf die Führung auswirkt. Außerdem gibt er Einblicke in das von ihm persönlich begründete Positive-Leadership-Modell.
Welche verschiedenen Führungsstile durften Sie in Ihrer beruflichen Laufbahn erleben?
Tatsächlich habe ich in meinen unterschiedlichen Funktionen schon viele verschiedene Führungsstile erlebt. Sowohl als Mitarbeiter, leitender Angestellter und Vorstand, aber auch in Aufsichtsräten konnte ich mir eine Menge Wissen über die Kunst der Führung aneignen. Im Grunde genommen habe ich in diesem Bereich alle Ansätze, die wir auch aus der Theorie kennen, erfahren dürfen. Da gab es beispielsweise den autoritären sowie den kooperativen Führungsstil, einen eher patriarchalischen Führungsstil oder auch einen laissez-faire Führungsstil. Man kann also sagen, dass ich einen Großteil der Führungspalette auch persönlich in der Praxis kennengelernt habe.
Welcher Führungsstil gefällt Ihnen am besten?
Mir persönlich gefällt der kooperative Führungsstil am besten und damit komme ich auch am besten klar. Wenn ich mich selbst einbringen kann, wenn mir Verantwortung übertragen wird, wenn mir Freiräume gegeben werden. Das ist im Übrigen auch der Führungsstil, der aktuell, und insbesondere in Zeiten der digitalen Transformation, gefordert und notwendig ist. Menschen müssen mit einbezogen und gefragt werden, der Mitarbeiter darf nicht mehr nur als Umsetzer der vom Chef vorgegebenen Lösung angesehen werden. Stattdessen sollte er integriert werden und eine wichtige Rolle spielen, wenn es darum geht die optimale Lösung zu finden. Zufriedenheitsmessungen zeigen, dass dieser Führungsstil auch bei den Mitarbeitern am besten ankommt.
Sie sind ein ehemaliger Vorstand. Welche branchenspezifischen Unterschiede bei Führungsstilen konnten Sie ausmachen?
In der Tat bestehen Unterschiede zwischen Unternehmen verschiedener Branchen, welche oftmals auch mit den jeweiligen Zeitperspektiven des Unternehmens zusammenhängen. So gibt es Unternehmen, die auf langfristige, strategische Projekte und Produkte setzen, während andere Firmen kurzfristig und flexibel agieren. Natürlich sind in solchen Unternehmen verschiedene Führungsstile angebracht. Im Handel beispielsweise, einem schnelllebigen Geschäft, geht es kurzfristiger und kundennah zu. Unternehmen der Investitionsgüterbranche hingegen investieren meist langfristig, dementsprechend richtet sich auch der Führungsstil gen Zukunft.
Wie wirkt sich die Digitalisierung auf das Arbeitgeber- und das Arbeitnehmerverhältnis aus?
Diesbezüglich gibt es zwei wichtige Aspekte, die es zu berücksichtigen gilt. Zum einen ist das der demografische Wandel. Dass die Digitalisierung Veränderungen mit sich bringt, ist mittlerweile allseits bekannt, doch diese Veränderungen werden nur dadurch verstärkt, dass wir es mit einer besonderen, neuen Zielgruppe zu tun haben. Ob man die neuen Generationen nun Generation Y oder Z nennt, spielt dabei keine Rolle. Viel wichtiger ist, dass diese Generationen gewandelte Erwartungen an ihr Leben, beziehungsweise ihr Arbeitsleben, haben. Die Definition einer gesunden Work-Life-Balance hat sich in den letzten 20 Jahren enorm verändert. Heute spricht man eher vom Work-Life-Blend. Zeugte früher ein großer Firmenwagen von hohem Status, ist es heute das Home-Office. Gleiches gilt für die Erwartungen an den Arbeitsplatz, wo es nun auf hohe Flexibilität und Agilität ankommt. Diese deutlichen Unterschiede wirken sich auch auf das Führungsverhalten aus, welches sich in Kombination mit der Digitalisierung drastisch verändert und den zweiten Aspekt beschreibt. Der im Zuge der Digitalisierung oft zitierte Begriff VUCA (Abk.: Volatility, Uncertainty, Complexity, Ambiguity) beschreibt die neuen Herausforderungen, mit welchen Unternehmen heute zu kämpfen haben. Diese Herausforderungen lassen sich so auch auf die verschiedenen Führungsstile anwenden. Führungskräfte müssen agiler, dynamischer und schneller werden, damit kann allerdings auch Unsicherheit und Hektik einhergehen. Hier gilt es, die goldene Mitte zu finden und den Ausgleich zu schaffen.
Aktuell trifft die Generation Y in der Arbeitswelt auf die erfahreneren Generationen. Wo liegt hier Konfliktpotenzial?
Basis des Problems sind die unterschiedlichen Kulturen der aufeinandertreffenden Gruppen. In jedem Unternehmen gibt es verschiedene Kulturen, alleine schon dadurch, dass es nun mal verschiedene Abteilungen gibt. Ich muss mir als Führungskraft die Frage stellen, ob ich es mir leisten kann eine Einkaufsabteilung mit einer anderen Kultur zu führen, als zum Beispiel die Vertriebsabteilung, die Logistik oder die Buchhaltung. Fest steht, dass es in jedem Bereich unterschiedliche Talente, Fähigkeiten, Stärken und Erwartungen gibt. So entsteht gezwungenermaßen eine unterschiedliche Kultur. Die Kunst ist letztendlich, eine Balance zwischen den Unterschieden herzustellen und damit eine einheitliche Kultur für das gesamte Unternehmen zu erzeugen. Gleiches gilt nun für die alte und die neue Generation, beide Generationen haben verschiedene Erwartungen und wollen verschieden geführt werden. Zwei verschiedene Verhaltensweisen an den Tag zu legen ist langfristig gesehen keine Lösung, dementsprechend muss eben auch hier eine Balance gefunden werden. Das Führungsmodell, dass diese Balance herstellt nennen wir Ambidextrie oder Beidhändigkeit.
Gibt es einen falschen Führungsstil?
Ja, unangemessenes Führungsverhalten führt zu Führungskrisen, wie wir sie immer wieder und auch aktuell erleben. Ein an Werten orientierter Führungsstil erweist sich in Zeiten der Digitalisierung notwendiger denn je. Heutzutage ist es einer Führungskraft nicht mehr möglich, alles zu wissen und alles zu können. Genauso wenig kann der Chef von heute auf jede Frage eine Antwort geben, vielmehr muss der Vorgesetzte gemeinsam mit seinem Team nach den richtigen Lösungen suchen, die Expertise seiner Mitarbeiter einbeziehen und auch Verantwortung auf Mitarbeiter übertragen. Anhand dieser Aspekte müssen sich heutige Führungskräfte messen lassen und eben auch weiterentwickeln.
Wir setzen hierfür den Synercube-Ansatz ein. Dieser erweitert die klassischen Führungsmodelle von Leistungsorientierung und Menschenorientierung um eine Wertedimension. Dieses Prinzip können Führungskräfte erlernen, um sich an die neuen Verhältnisse bestmöglich anpassen zu können.
Wer ist, bei Bedarf, für einen Wandel des Führungsstils verantwortlich?
Hier besteht eine gemeinsame Verantwortung aller. Zunächst mal gehen wir davon aus, dass ein falscher Führungsstil zu geringeren Erfolgen führt, in Umsätzen, Erträgen oder einer höheren Fluktuation bei den Mitarbeitern. Die beeinträchtigten Kennziffern müssen daher offen und transparent ausgetauscht werden, was zwangsläufig dazu führt, dass der Vorgesetzte seinen Führungsstil hinterfragen muss. Allerdings ist es heutzutage auch die Verantwortung der Mitarbeiter, den Führungsstil der Führungskräfte zu bewerten. Die Mitarbeiter müssen Feedback geben und ihre eigenen Erwartungen offen und transparent formulieren. Und letztendlich müssen auch ein funktionierender Aufsichtsrat sowie ein Vorstand die Akzeptanz der Vorgesetzten ihres Unternehmens prüfen. Dies lässt sich beispielsweise an der Mitarbeiterzufriedenheit messen, mit Hilfe derer man herausfindet, ob die Mitarbeiter engagiert und motiviert an den richtigen Zielen arbeiten.
Welche konkreten Fähigkeiten sollte eine Führungskraft heutzutage besitzen, um die enormen Auswirkungen der Digitalisierung bewältigen zu können?
Die Digitalisierung erfordert insbesondere eine größere Offenheit, Flexibilität und Transparenz der Entscheidungen sowie der Entscheidungsgrundlagen. Darüber hinaus muss man, in den aktuell sehr volatilen und unsicheren Zeiten, den Mitarbeitern mehr Freiraum geben, anstatt Anweisungen zu erteilen. Hier bietet sich ein sogenanntes Werte-Management an, bei welchem man systematisch mit den Mitarbeitern die tragenden Werte erarbeitet. Gleiches gilt im Übrigen hinsichtlich der Stärken. Die schon vorhandenen Stärken meines Teams müssen ausgebaut und entwickelt werden. Die Führungskraft muss hier die Entwicklungsaufgabe in die Hand nehmen. Zu guter Letzt spielt noch die Vision des Vorgesetzten, beziehungsweise die Vision des Unternehmens, eine große Rolle als Führungsinstrument. Dabei geht es um die langfristige Ausrichtung mit den Leitfragen „Wo wollen wir hin?“ und „Was wollen wir erreichen?“. Der Mitarbeiter will begeistert und abgeholt werden, er will verstehen, in welche Richtung sich das Unternehmen entwickelt. So schaffen Führungskräfte Sinn. Im Idealfall wird die Vision gemeinsam mit den Angestellten entwickelt. Dieser Wandel, den wir aktuell erleben, ist ein kontinuierlicher und gradueller Prozess, der sich über mehrere dutzende Jahre entwickelt hat. Heutzutage sind wir in allen Bereichen der Gesellschaft, also nicht nur in den Unternehmensbereichen, stärker einbezogen, besser informiert und transparenter. Dieser Trend nimmt deutlich zu und setzt sich immer weiter fort. Darüber hinaus sind wir auch bereit, mehr Verantwortung zu übernehmen und zu übertragen. Das geht schon so weit, dass einzelne Unternehmen von ihren Mitarbeitern unternehmerische Verantwortung erwarten und dies auch klar definieren.
Sie gehören zu den Begründern des Positive-Leadership-Modells. Worum geht es dabei?
Das Positive-Leadership-Modell entwickelt in der soeben beschriebenen Weise die Kultur des Unternehmens und stellt die Frage: „Wie können wir Emotionen positiv nutzen und managen?“. Schauen wir uns um, bemerken wir, dass nicht mehr nur Zahlen, Daten und Fakten unsere Entscheidungen bestimmen, sondern zunehmend die Emotionen. Die Wissenschaft spricht heute schon davon, dass mehr als 50 Prozent unserer Entscheidungen in Unternehmen von Emotionen abhängig sind. Die Positive Psychologie, auf der Positive Leadership beruht, hat seit ihrem Entstehen vor 20 Jahren viele Erkenntnisse gewonnen und Methoden entwickelt, wie Emotionen im positiven Sinne gemanagt werden können. Dazu gehört die Stärkenorientierung, die zeigt, dass es viel produktiver ist, auf die Stärken der Mitarbeiter zu setzen anstatt die Schwächen zu vermeiden. Eine weitere sehr erfolgreiche Methode des Positive Leadership ist der FLOW-Ansatz, um Spitzenleistungen durch die optimale Nutzung von Emotionen zu erzielen.
Wie beeinflusst heutzutage die Digitalisierung das Positive-Leadership-Modell?
Die Digitalisierung beschleunigt eindeutig die Nutzung der positiven Psychologie und der Positive-Leadership-Ansätze. Wir sprechen hier sogar schon vom Digital Leadership. Neue Technologien, die Notwendigkeit von Innovation und die starke Kundenorientierung führen dazu, dass die Ansätze der positiven Psychologie noch schneller und noch intensiver in Unternehmen eingesetzt werden. Bestes Beispiel dafür ist der Bereich der digitalen Transformation. Dort werden Projekte durchgeführt, die Schnelligkeit und Agilität erzeugen. Basis dieser Projekte ist das Design Thinking, welches sich stets an den Kundenbedürfnissen orientiert.